Zur Geschichte der Jakobswege und der Jakobspilger in Europa

 Santiago de Compostela zählte neben Jerusalem und Rom zu den großen Fernwallfahrtszielen der mittelalterlichen Christenheit. Im äußersten Nordwesten der iberischen Halbinsel gelegen, zog es in seiner Glanzzeit jährlich Zehntausende oder gar Hunderttausende von Pilgern an, die am Grab des Apostels Jakobus zu beten wünschten.


Der beschwerliche Weg - im Sommer bei brütender Hitze, im Herbst und Frühjahr über vereiste Berge - war nicht nur durch Naturgewalten gefährdet, sondern auch durch Menschen, die vor Betrug und selbst Mord nicht zurückschreckten. Die Wallfahrt nach Santiago erforderte also ein Höchstmaß an Disziplin und Askese, an Mut und Ausdauer und vor allem an Bußbereitschaft und Glaubensfestigkeit.

Denn der Mensch des Mittelalters war in einem Ausmaß von der Religion geprägt, das uns heute völlig fremd ist. Andererseits soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß oft weniger häre Gründe wie Abenteuerlust und Flucht vor Strafverfolgung den Antrieb zur monatelangen Wanderung in der Fremde gaben.
Aus ganz Europa begaben sich die Pilger zum Ende der Welt, wie das nur wenige Kilometer westlich gelegene Cap Finisterre ehrfurchtsgebietend genannt wurde. Im strengen Sinne - man beachte den Singular - hat es einen wirklichen Jakobsweg erst hier in Spanien gegeben:
In Puente la Reina vereinigten sich nämlich die vier Hauptrouten, die durch Frankreich nach Überquerung der Pyrenäen zum entfernten Apostelgrab zustrebten. An den noch heute bedeutenden Städten Logrono, Burgos, Sahagún, León und Villafranca vorbei führte der Weg nach Santiago.

Wenn wir vom Jakobsweg sprechen, dann denken wir nicht nur an die letzten Etappen in Spanien als auch an die hohen romanischen Kathedralen, die Kirchen von Moissac und Auch des Camino francés in Südfrankreich.
Durch die lange Isolation der iberischen Halbinsel durch die Franco-Diktatur war der Blick auf den Jakobsweg lange verwehrt geblieben. Erst während des Übergangs zur Demokratie ist der Jakobus-Kult wiederbelebt und von der Europäischen Union erheblich mitfinanziert worden.


Webcams vom:
O'Cebreiro und Portomarin
Kathedrale in Santiago (innen)
Vor der Kathedrale, Plaza de Obradeiro

Das Wetter in Santiago de Compostela

Der berühmte Codex Calixtinus, auch Liber Sancti Jacobi oder Jakobusbuch genannt, zählt nicht nur die größten Städte an den vier Wegen auf, sondern erwähnt in der Regel auch deren Kirchen.
Die erste Route führt über St.-Gilles, Montpellier und Toulouse; die zweite über Notre-Dame in Le Puy, Ste.-Foy in Conques und St.-Pierre in Moissac; die dritte über Ste.-Marie-Madeleine in Vézelay, St.-Léonard im Limousin und die Stadt Périgueux; die vierte schließlich über St.-Martin in Tours, St.- Hilaire in Poitiers, St.-Jean in Angély, St.-Eutrope in Saintes und die Stadt Bordeaux. Nach der Überquerung vom Cisa- bzw. Somportpaß, treffen sich alle in Puente la Reina und von dort gibt es nur einen Weg bis Santiago.

Da tatsächlich Pilger aus ganz Europa zum Apostelgrab wallfahrteten, können die zuletzt genannten Orte in Frankreich natürlich nicht als Ausgangspunkte, sondern eher als Sammelpunkte für eine weiterhin beschwerliche Bußwanderung angesehen werden. Die Gläubigen aus Köln und Aachen dürften die westliche Route bevorzugt haben, während Trier wohl über Vézelay oder Le Puy pilgerte.
Eine ganz besondere Rolle aber fiel dem deutschen Südwesten zu, denn für die Territorien in der Mitte und Osten des Reiches und natürlich auch Europas war er durch die Rheinschiene und die ausgebauten Handelswege das Tor zum südwestlichen Teil des alten Kontinents.

Bei aller Begeisterung für kulturelle Leistungen und bei allem Respekt vor gläubiger Überlieferung muß man spätestens hier einmal methodisch innehalten:

Natürlich war nicht jedes Jakobus-Hospiz eine Station auf dem Weg nach Santiago, und natürlich hat nicht jede Jakobus-Bruderschaft eine Pilgerfahrt nach Galizien unternommen. Immerhin war Jakobus der Ältere ein Apostel und der Bruder des Evangelisten Johannes. Zudem wurde er - mit dem Erzengel Michael vergleichbar - als der Schutzheilige im Kampf gegen die Ungläubigen angerufen (matamoros).Vor allem aber war er auch ganz allgemein der Patron aller Pilger, ob im Westen Europas zum sog. Fegefeuer des heiligen Patrick oder im Süden zum heiligen Cataldus von Trent.

Ähnlich wie Georgi zählte Jakobi zu den volkstümlichen Märkten und Festen, auf die sogar Urkunden datiert wurden. Mit dem 25. Juli wurde schließlich die Erntezeit eröffnet, für die agrarische Gesellschaft des Mittelalters ein besonders bedeutendes Ereignis. Gründe, den heiligen Jakobus zu verehren gab es also genug.


Pilgermotive im Mittelalter (kann leider die Quelle nicht angeben!)

Peregrinatio poenitentiae causa
- Pilgern zur Buße

Peregrinatio pecuniae causa
- Pilgern als Stellvertreter, als Berufspilger

Peregrinatio comercii causa
- Pilgern als Händler und Handwerker

Peregrinatio honoris causa
- Pilgern zur Heiligenverehrung

Peregrinatio iudicii causa
- Pilgern als gerichtlich verhängte Strafwallfahrt

Peregrinatio humanitatis causa
- Pilgern als Bildungsreise

Peregrinatio valetudinis causa
- Pilgern in der Hoffnung auf wunderbare Heilung

Peregrinatio santo - religioso
- Pilgern zum eigenen Seelenheil

Peregrinatio adventici causa
- Pilgern aus Abenteuerlust, zur sportlichen Herausforderung

Peregrinatio voti causa
- Pilgern zur Erfüllung eines Gelübdes

Heute für viele? - 
Peregrinatio varietatis causa
- Pilgern als Flucht aus der Eintönigkeit und zur Sinnsuche 


Peregrinatio politica
- Pilgern aus Staatsräson - für Könige und Staatsmänner

Hier eine historisierende Abbildung der europäischen Jakobswege:


 

Materialien:
Auszüge aus meiner Publikation:
Wolfgang W. Meyer: Jakobswege - Württemberg, Baden, Franken, Schweiz
Mit den neuen Wegen im Schwarzwald.. Mit einem Beitrag von Peter Kirchmann. 7., neu bearbeitete Ausgabe, ca. 335 Seiten, ca. 125 Abb. und Karten. 2009, Silberburg-Verlag, Tübingen. ISBN 3-874-078-337- Der Druck wurde eingestellt.
Sie können Auszüge als pdf anforden: (wolfmeyer et gmail.com)


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